Bleierne Zeiten Pascal, 1. Januar 2024 Festzustellen, um diese Uhrzeit, an diesem einen Tag genau hier und nirgendwo anders zu sein, kann für zweierlei sprechen. Entweder, dass etwaige Ansprüche an das eigene Leben ausserhalb des Erreichbaren liegen. Oder aber, dass man aus weiser Voraussicht a priori darauf verzichtet, Anspruch auf etwas zu zu erheben, was ausserhalb des jeweils Möglichen liegt. Enttäuscht? Nein. Traurig? Ja. Wenn auch, um gleich zu berichtigen, nicht etwa aufgrund des Gefühls, etwas zu verpassen oder schon längst verpasst zu haben. Das einzig Positive am Älterwerden scheint mir der Umstand, dass man vieles nicht mehr so eng sieht, es nicht mehr in dieser extremen Schärfe wahrnimmt, wie man es etwa als Jugendlicher oder junger Erwachsener tut. ‚Life in fast lane‘ sollte im Alter von Sturm und Drang gelebt werden. Irgendwann ist es schlicht zu spät, um noch an etwas anzuknüpfen, wovon man denkt, es wäre an einem vorbeigegangen, obgleich bei genauer Betrachtung vieles ohnehin immer schon verzichtbar war und es bis heute geblieben ist. Allerdings kann ich nicht behaupten, dass ein Feiertag wie Neujahr damals, als noch alles anders und man selbst jung war, besser gewesen wäre. Die Erwartungen waren stets hoch, die Realität meist eher bis sehr ernüchternd. Soweit kein Wunder, dass es in der Folge meist irgendwelcher Substanzen bedurfte, um wenigstens zu versuchen, dem schrecklich Banalen etwas Besonderes abzuringen. Eine weitere Erscheinung des Älterwerdens ist die Fähigkeit, das Wesentliche vom Überflüssigen unterscheiden zu können. Vermutlich wird es mich deswegen gerade so wenig bekümmern, hier und jetzt alleine zu sein. Es bedarf wenig Denkleistung zu erkennen, dass dies auch gerade für mich das Beste. Weder wäre ich eine angenehme, erbauliche Gesellschaft für andere, noch wäre ich imstande, einer anderen Situation etwas anderes abzuringen als dieser schlichten Rahmenhandlung: auf dem Sofa liegend, mit dem Glas Rotwein auf dem Tisch und den bereits gefühlt eine Million Mal durchgekauten Gedanken im Kopf. Schrecklich banal war damals noch das eine. Banalität erlaubt im mindesten noch Hoffnung, im besten Fall sogar Anspruch auf Veränderung, in welcher Art auch immer. Den heutigen Zustand aber banal schrechlich zu nennen, lässt hingegen nicht viel Spielraum für andersgelagerte Hoffnungen. Somit kann ich das gesamte Jahr 2023 als eine bleierne Zeit festmachen. Profan ausgedrückt, würde ich sagen, dass ich ein ganzes Lebensjahr verschwendet habe. Dass ich dies in diesem Fall nicht meinem Zutun geschuldet ist, macht es eher noch schwerer als leichter; denn es fällt mir leichter, solche Sachlagen unter der Rubrik ‚Eigenes Scheitern‘ zu verbuchen als mich in sinnlosen Versuchen zu ergehen, die Verantwortung bei anderen zu suchen. Die Schuldfrage zu klären, ist in den meisten Fällen ein fruchtloses Unterfangen, jedenfalls wenn es das eigene Bestreben bleibt, mit seinen Mitmenschen auf irgendeine Weise weiter zurande zu kommen, egal was deren Anteil an der eigenen Sachlage sein mag. Insofern stecke ich in einer mir selbst gestellten Falle, die bei genauer Betrachtung noch fataler ist als es zunächst erscheint. Denn gerade durch diese, eigentlich falsch motivierte Umsicht und der daraus resultierenden Nachsicht habe ich mutmasslich den rechtzeitigen Absprung aus einem hochgradig pathologischen Umfeld verpasst und stecke nun mittendrin, in einer Art Geiselhaft, verursacht durch eine toxische Mischung völliger Realitätsverweigerung und infantilem Egoismus einerseits sowie notorischem Narzissmus und widersinniger Kleingeistigkeit. Mitten im Spannungsfeld zweier derart verfasster Menschen zu stehen, kommt einem Leben in der irdischen Ausprägung der Hölle wohl schon ganz nahe. Somit muss ich mich über die dementsprechend infernal geprägte Stimmung meinerseits nicht wirklich wundern. Versuchte ich dieser misslichen Lage etwas Positives abzuringen, könnte ich sagen, dies sei meine eignene, zeitgenössisch ausgeprägte Schule der Stoa. Dies ersparte mir zugleich eine weitergehende Wertung und somit das Abdriften in metaphysische Begrifflichkeiten. Dies jedenfalls in jenen Zeiten, in denen ich entsprechend viel Gleichmut aufbringen kann. In Ermangelung derselben, wie in letzter Zeit gehäuft, greift jedoch ganz schnell die Metaphysik. Dann bricht die sich alternierende Triade aus Zynismus, Fatalismus und Nihilismus durch. Glücklicherweise stehen diese dann emotional dominanten Ausformungen des Erlebens, zumindest in meiner inneren Welt, gedanklich wieder so nahe beim mittlerweilen herangewachsenen Stoiker, dass sich der Kreis irgendwann wieder zu schliessen vermag. Trotzdem bleibt immer auch die Ungewissheit bestehen, irgendwann vielleicht nicht mehr aus einem, aufgrund der Sachlage gewiss plausiblen Teufelskreis herauszukommen. Persönlich werte ich den Umstand, kurzzeitig in der Psychiatrie unterzukommen, nicht als Niederlage, aber es ist zumindest ein Indikator, der Zweifel am noch Leistbaren weckt und die Frage aufwirft, wann sich eine aufgrund weiterer Vorkommnisse im Streit um das Kind plötzlich aufbrechende Dekompensation vielleicht doch nicht mehr rechtzeitig auffangen lässt. Die bleierne Schwere dieser Tage liegt nicht nur im Sachverhalt und der möglichen Konsequenzen selbst, sondern auch in der inneren Verfasstheit, der Selbstwahrnung sowie dem Blick nach aussen. Jeder Gedanke, wie es überhaupt jemals mit irgendeinem Teilaspekt des Lebens weitergehen soll, trägt das Potential einer neuerlichen Krise in sich. Gewiss sagt die Lebenserfahrung, dass sich dies in Krisenlagen meist so anfühlt. Nur basiert jene Erfahrung auf bis anhin rein fiktionaler Geschehnisse, auf Hindernissen, die man sich, wie man man erst viel später erkennt, selber im Kopf erschaffen hat und die keinen wesentlichen Bezug zum realen Leben haben. Dies hier ist aber das reale Leben. Die KESB, ihre Briefe, ihre Wirkmacht auf mein Leben – das ist ganz real und leider keine Fiktion, die mein Kopf erschaffen hätte. Mehr oder minder wirksame Mittel zur Einhegung dieser Bedrohung sind Abstraktion, Repression und immer mehr auch Regression. Ich ertappe mich bei Gedanken, die Adorno seinem autoritären Charakter zugeschrieben hätte. Als wäre das für sich genommen nicht schon genug, fühlen sich diese Gedanken oft schlüssig und zufriedenstellend an, ganz so als ob ich gerade erst so richtig den Rassisten in mir kennen und schätzen gelernt hätte, wenn ich mich etwa auf der Autofahrt über vorbeifahrende Fahrzeuge mit französischen Zulassungsschildern in rassistischen Hasstiraden ergehe. Freilich mangelt es mir auch heute nicht an der Selbsterkenntnis, wie falsch und ungerecht diese Pauschalisierung ist, wenn ich von einem einzelnen Franzosen, dessen selbstgestecktes Ziel es geworden ist, mein Leben zur Hölle auf Erden zu machen, gleich auf alle anderen schliesse. Dennoch scheint es gerade diese Regression zu sein, die wenigstens vorübergehend den Leidensdruck etwas mindert. Es bleibt dennoch abzuwarten, welche nachhaltigen Folgen diese Zeit haben wird. Da zur alltäglichen Bewältung dieser Situation ähnliche Mittel wie zur Beherrschung und Einhegung meiner früheren Traumata notwendig sind, liegt der Schluss nahe, dass sich hier gerade halb unbemerkt neue Traumata in die Seele fressen. Dass ich dem nur wenig entgegensetzen zu habe, muss ich fürs erste einmal zur Kenntnis nehmen. Auch dies erinnert lehrbuchartig an Traumaentstehung: in der konkreten Notlage, der unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt, bleiben die vier F – Fight, Flight, Freeze, Fawn. So gesehen hat, wie bereits erwähnt, die Falle schon lange zugeschnappt. Alle 4 Wirkmechanismen kann ich in abwechselnder Tätigkeit beobachten. Hier offenbart sich meine, schier unerträgliche innere Dichotomie, etwa im eigenen Anspruch, Vernunft walten zu lassen, adäquat zu handeln, pragmatisch zu bleiben, während aufgrund der Absurdität der Situation und der Widerwärtigkeit der anderen handelnden Akteure die dadurch verursachte kognitive Dissonanz oft derart unerträglich wird, dass sich blinder Hass Bahn bricht und das Gefühl Oberhand nimmt, dem Wahnsinn anheim zu fallen. Es bleibt einzig die Erkenntnis, bereits einmal ein tiefsitzendes Trauma überwunden zu haben, und dies dazu noch unter den widrigen Umständen der letzten Jahre. Ganz persönlich Gedanken Zukunft I.KESBPsychosachenSinnkrise
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