Aller-retour Pascal, 3. August 20233. August 2023 Der Einblick ins Leben anderer Leute bietet oft einen ebensolchen Einblick in deren Inneres. Man mag von überfüllten Wohnungen oder anderen Räumlichkeiten, in denen sich Mensch so aufhält, halten was man will. Für mich steht allerdings unzweifelhaft fest, dass diejenigen unter meinen Artgenossen, welche ihr Leben auf ein Bett, eine Couch, ein Stuhl, einen Tisch und eine ansonsten leere Wohnung reduziert haben, in sich selbst ähnlich leer sind wie ihre physischen Habitate. Darüber könnte man nun endlos schwadronieren. Allerdings zielt dieser Gedanke, der mich gerade befallen hat, in eine andere Richtung. Nämlich in die der Ruhelosigkeit. Eine interessante, verdächtige Häufung an Verhaltensweisen besagter Menschen betrifft ihre Rastlosigkeit. Die panische Angst, irgendwann einmal plötzlich ganz alleine mit der Welt in ihrem Kopf zu sein, treibt sie in ständiger Unruhe von einem Ort, von einem Event zum anderen. Alleinsein unmöglich. Warum fällt mir das gerade jetzt wieder auf? Weil ich mir mittlerweilen ähnliche Verhaltensmuster angewöhnt habe. ‚Angewöhnt‘ trifft nicht zu. Es ist ein Ergebnis der Sachzwänge meiner persönlichen Verhältnisse und den anderen Akteuren, denen ich dummerweise so viel Raum in meinem Leben eingeräumt habe, dass ich sie inzwischen nicht nur nicht mehr aus meinem Leben rauskriege, vielmehr haben sie mein Leben gleich ganz gekapert. Ich bin zum Spielball anderer geworden. Was bleibt, ist Coping, die Exit-Strategie fehlt. Dazu mag ich mich aber gerade nicht auslassen. Vielmehr stelle ich wie gesagt mit Schrecken fest, dass ich, wenn auch auf meine eigene Art, ständig in Bewegung bin. Die Angst vor den rasenden Gedanken im Kopf, lässt sich kaum noch bändigen. Der Unterschied zu früher ist einzig eine Verschiebung der Inhalte. Gedankenflucht kenne ich shcon mein ganzes Leben lang. Die meiste Zeit hinüber waren diese Gedanken freilich wenig diffenziert. Es war mehr ein Knäuel non-kausal zusammenhängender Gedankenfäden. Üblicherweise wird das unter dem Begriff ‚fruchtloses Grübeln‘ subsummiert. Das Wort ‚fruchtlos‘ kommt mir heute allerdings schon fast als Euphemismus vor; denn wie schön waren im Vergleich zu heute diese fruchtlosen Dinge. Die Gedanken sind frei, sie dürfen fruchtlos, sie dürfen Selbstzweck bleiben. Das richtungslose vor sich her Grübeln, vor sich her Dissoziieren, warum auch nicht? Heute muss ich zwangsläufig feststellen, dass ich in einer soliden Pathologie stecke. Diese wiederum ist nun die Frucht der fruchtlosen Zeiten zuvor. Die Entwicklung der letzten 3,5 Jahre ist in letzter Konsequenz das Ergebnis der weitestgehenden Fruchtlosigkeit meines Lebens. Verpasst man im Leben die letzte Ausfahrt, wird die Strasse desselben entweder in einer Sackgasse oder im Abgrund enden. Bisher waren es immer die Sackgassen, mittlerweilen sehe ich mich eher mit Höchstgeschwindigkeit auf den Abgrund zubrettern. Im Unterschied zu früher, bin ich hingegen heute kaum mehr als der Beifahrer, mit mindergrossem Einfluss auf das Fahrgeschehen. In einer Sackgasse gibt es immer noch ein Zurück; man fährt rein, bemerkt, dass man sich getäuscht hat und fährt wieder retour. Dem Abgrund entgegen sieht dies doch gänzlich anders aus. Die Fahrt in den Abgrund ist die in eine Sackgasse ohne Rückfahrmöglichkeit. Einst dachte ich, es sei schlimm, wenn man Gedanken wälzte, die keine klare Ursache und keine erkennbare Richtung haben. Die Ambivalenz zwischen mehreren verschiedenen, nur unzureichend verstehbaren Zuständen war unerträglich. Indifferente Zustände sind weder das eine, noch das andere, kein Fleisch, kein Fisch. Bei objektiver Betrachtung haben sie den Vorteil, dass sie alles und nichts sein können. Indifferenz ist Zeitgeist. Zwischen allem und nichts herumgondeln, erlaubt einem ein Leben ohne Festlegung, ohne Definition, ohne Form und Farbe. Ein Mensch ohne Eigenschaften zu sein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass genau daran die meisten Menschen, die irgendwann den Kompass zur erfolgreichen Navigation durchs Leben verlieren, zu zerbrechen drohen. Konfrontiert mit der inneren Leere, der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz, bricht alles zusammen. Und anstelle von gesellschaftskonformer Ordnung und Struktur, kommt die grosse Leere, die nach der Implosion des Selbst übrigbleibt. Jeder fühlt sich schlecht, und niemand weiss warum. Sich schlecht zu fühlen ohne zu wissen, weswegen, erscheint einem schnell als die eigentliche Qual der menschlichen Existenz. Zumindest solange man es nicht schafft, sich seine eigenen Sinnfragen selber zu beantworten. Sinnfragen zu beantworten, ist ein ständiges Aller-retour. Hingegen sich schlecht zu fühlen, weil man genau weiss, weswegen man sich so und eben nicht völlig anders fühlt – das ist die wahre Qual. Sachzwänge, vor denen es kein Entrinnen gibt, sind nicht selten die Fahrkarte, ohne Rückreiseoption in den Abgrund. Ganz persönlich Gedanken
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