Fassungslos Pascal, 21. Juli 202323. Juli 2023 Dieser Blog ist eigentlich so überflüssig wie viele, wenn nicht alle anderen. Alles wurde bereits tausende Male durchgekaut, es gibt nichts Neues mehr in dieser Welt. Bis zu diesem ersten Post habe ich lange gezögert, mir wieder und wieder die Frage gestellt: Was ist der Sinn, schreiben zu wollen; wenn doch bereits alles gesagt worden ist? Der Druck im Kessel hat in letzter Zeit massiv zugenommen, der Unmut über die Welt, über meine persönlichen Verhältnisse hat ein Ausmass erreicht, an dem weiter Schweigen einerseits nicht mehr möglich ist, andererseits trotzdem die Sinnfrage weiterbesteht. Die Frage, warum etwas tun, was müssig, überflüssig, sinnlos ist. Seit längerem führe ich einen mehr oder weniger heftigen Streit in einem Forum, in welchem ich vom normalen Partizipant zum Moderator, schliesslich zum Admin aufgestiegen bin; worauf ich in letzter Konsequenz selbst heute der formale ‚Besitzer‘ bin, indem ich das Forum als SQL-Datensatz auf meinem eigenen Server eingespielt habe, weil niemand anderes es mehr tun wollte.Ich sage das ohne einen Anspruch auf ‚mein‘ Forum anzumelden, oder auf die Funktion als Administrator. Das sind Dinge, die mir einerlei sind. Dass ich dort aber selbst zum Outcast geworden bin – weil ich es gewagt habe, ungeschönt und in zunehmend massiver werdenden Ausdrucksweise die reflektive Auseinandersetzung mit meinen persönlichen Baustellen zu üben, das fällt mir schwer, so hinzunehmen. Über Geschmack, über guten Stil und Umgangsformen kann man sich gerechtfertigterweise streiten, in jedem Falle immer dann, wenn man im persönlichen Austausch mit anderen Menschen steht. Etwas anderes ist es jedoch, wenn Konflikte, die alleine Drittpersonen betreffen, in Form eines schriftlich festgehaltenen, inneren Dialogs erfolgt – unabhängig davon, ob dies in einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Tagebuch oder hier konkret in einem Forum geschieht, welches dazu noch der psychischen Auseinandersetzung mit einschneidenden Lebensereignissen dienen soll, zum sprichwörtlichen Popanz aufgeblasen werden. Genau in letzterem liegt gewiss die Ursache für das Sprengpotential des von mir dort ausgeführten Schattenboxens, welches, wohlverstanden, in meiner eigenen kleinen Sphäre einiger weniger Threads, die niemand zu lesen gezwungen ist, erfolgt ist. Alleine mir steht es zu, den Popanz aus der Summe meiner Lebensereignisse zu formen, mich in Selbstmitleid zu suhlen, wenn mir der Sinn danach steht, mich pathlogischem ‚fruchtlosem Grübeln‘ zu verschreiben. Falsche Annahmen Die Annahme, dass gerade dort, wo beschädigte Menschen aufeinander treffen, eine erweiterte Fähigkeit zum Perspektivwechsel, oder zumindest, wenn man selbst nichts Produktives zur Leidensgeschichte des Gegenübers beizutragen hat – zum Abgrenzen der Leiden des anderen, vorhanden sein sollte, trifft nicht zu. Um beim Titel des Posts zu bleiben, bei meiner Fassungslosigkeit, bemerke ich immer mehr, wie klein die Bereitschaft bei psychisch Kranken oft ist, sich selbst zu hinterfragen, was zwingende Notwendigkeit für eine Entwicklung in Richtung einer irgendwie gearteten Heilung wäre. Gewiss masse ich mir hier ein harsches, vielleicht ungerechtes Urteil an, wenn ich dies so sage. Allerdings sage ich das aus der Perspektive eines psychisch Erkrankten, der mittlerweilen auf 27 Jahre in dieser Mühle zurückblicken muss/kann/darf. Da mir diese Mühle, diese gesellschaftliche Bubble am besten vertraut ist, sehe ich naheliegenderweise dort einen der vielen Mikrokosmen, der Teil des übergeordneten Makrokosmus – unserer menschlichen Welt als ganzes ist. Die Quintessenz daraus ist die, dass von nichts auch nichts kommen kann. Man lege mir das nun nicht als neoliberalen Neusprech aus – im Sinne einer solch dumm-naiven Phrase wie ‚Jeder ist seines Glückes Schmied‘. Keine Gedanke könnte weiter davon entfernt sein. Nein, die zwingend zu erlangende Erkenntnis in der psychiatrischen Mühle im speziellen ist die, dass der Ritter hoch zu Ross, der einem aus seinem Schicksal befreit, nie kommen wird. Die Schlüssel zum Tor des eigenen Kerkers muss man selber finden, oder schlimmstenfalls sogar selber zurecht feilen. Kein Weg führt daran vorbei; denn es gibt keine Wunder.Wer dennoch darauf hofft, wird ewig warten und immerzu enttäuscht bleiben. Völlig unabhängig davon, wie gesund oder krank man sich fühlen, oder sich selber definieren mag; was bleibt, ist die mehr oder weniger bittere Erkenntnis, dass es keine Wahl, keine Alternative zu dem gibt, was man gerade hat, was vielleicht in dem Moment nicht mehr als das eigene Leben ist. Mikrokosmos trifft Makrokosmos Der Weg des grössten Widerstandes Die Binse, dass nur Fleiss und Einsatz zum Erfolg im Leben führen wird, kennen alle von uns, egal ob wir nun vor oder nach dem Durchmarsch des neoliberalen Mantras aufgewachsen sind. Die offensichtliche kognitive Dissonanz in dieser banalen aber heute universalgültigen Philosophie ist die, dass die meisten von uns zumindest darum bemüht, einige hingegen schon obsessiv davon besessen sind, gewissenhafte Staatswichtel zu sein, einer mehr oder weniger sinnhaften Arbeit nachzugehen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, für die Nächsten zu sorgen, die Rechnungen und Steuern pünktlich zu bezahlen. Was hingegen ausbleibt, ist die Erkenntnis, vielmehr auch die Bemühung um die Erkenntnis, dass sich eigenes Engagement keineswegs alleine auf gesellschaftlicher Ebene beschränkt; sondern vielmehr keinerlei menschliche Entwicklung möglich ist, ohne die kritische Reflektion seinerselbst und seiner eigenen Position und Rolle in der Welt, verbunden mit der Bereitschaft, gegebenenfalls bis zum Bruch mit etablierten, aber dysfunktionalen Strukturen, im Inneren wie im Äusseren, weiterzugehen. Entwicklung versus Fortschritt, um Pier Paolo Passolini aufzugreifen, ist eines grössten Missverständnisse der heutigen Zeit. In Zeiten schier grenzenlosen Fortschritts, technisch-wissenschaftlichem beherrscht, gerät Entwicklung, eine Domäne des Individuums, zumindest in den Hintergrund oder verschwindet gänzlich vom Schirm der Aufmerksamkeit. Die bunt leuchtende Welt der Gadgets, die in allen Theken, online und offline ausliegen, verzaubern so sehr, dass sie für die meisten längst zur Krücke, für einige auch bereits zur Prothese eines in sich nicht weiter entwicklungsfähigen Geists geworden sind. Es ist der Weg des geringsten Widerstandes, egal wie sehr man bereits einem kleinen Kind auch beizubringen versucht, dass Müssiggang aller Laster Anfang. Was als tugendhaft zu gelten hat, steht in grossen Lettern über den Türen aller gesellschaftlichen Uniformierungsanstalten. Deren Gemeinsamkeit ist in der Regel, das Hirn am Eingang abzugeben, sich trotzdem aber darum zu bemühen, den schönen Schein einer Intellektualität zu wahren, die aber lediglich der Zucht von wirtschaftlich verwertbarem Menschenmaterial dient. Ausserhalb der wirtschaftlichen Verwertung hingegen, der sogenannten Freizeit, kommen die Ersatzbefriedigungen zu Zug; die vielen bunt blinkenden Gadgets, die Krücken und Prothesen. Die machen nicht nur unglaublich viel Spass und Freude, sind sind die handlich sublimen Kerker, die unseren Geist auch jenseits der Uniformen, die wir täglich mehrere Male wechseln, in geregelten Bahnen halten, auf dass kein böser, ketzerischer Gedanke aufkommen soll; die angenehme Anästhesie, die die Leere im Kopf nicht nur erträglich, sondern zum Selbstzweck macht. Wer den ganzen Tag schuftet, darf auf der geisten Leere fröhnen. Und je leerer die Inhalte des Tages, des Schuftens sind, desto mehr an Anästhetikum ist nötig, diese Leere auszuhalten. Die modernen Gadgets sind das zeitgenössische Equivalent zu Aldous Huxleys Soma in Brave New World. Fassungslosigkeit auf allen Seiten Egal, wo man selbst steht, jeder wundert sich über sein Vis-à-vis. Während ich meine Fassungslosigkeit ob der zeitgenössischen Geistlosigkeit, des Verlustes aller menschlichen Werte, die niotwendigerweise ein Zusammenleben überhaupt erst ermöglichen, oft kaum mehr aushalte, mag sich mein Gegenüber meiner Entrüstung wegen wundern. Was als normal zu gelten hat, ist weitestgehend gesellschaftliche Vorgabe, und wessen Verstand bereits abgedankt hat, wird kaum mehr in der Lage sein, sich dem Verzehrs dessen, was ihm schön drapiert auf dem Teller gereicht wird, zu verweigern. Der Sonderling bleibt derjenige, der sich erdreistet, Zweifel zu sähen, Fragen aufzuwerfen, die schlimmstenfalls das Konstrukt gesellschaftlicher Normalität dem Einsturz zuführen könnte. Zwischen Fromm, Gruen und Camus Alles ist bekannt, nicht erst seit der Entstehung all der tollen, geist-lähmenden Verheissungen. Will man sein eigenes Kranken an der Welt lindern, hat man zumindest eine gewisse Auswahl. Wer sich etwas Optimismus für die Welt als ganzes bewahren will, findet vielleicht bei Erich Fromm etwas Trost. Die Vorstellung eines gesellschaftlichen Umbaus, der zu guter Letzt zum Nutzen aller sein wird, einer Welt, in der das zählt, was wir sind, und nicht, was wir haben, klingt schön, vermittelt die Hoffnung, es könnte vielleicht doch noch einmal, irgendwann besser werden. Für den Individualisten empfiehlt sich am ersten Arno Gruen. Die Baustelle Ich. Die bewusste Entscheidung, die Krücken und Prothesen wegzuwerfen und den Weg zur Menschwerdung beschreiten. Das erfordert allerdings persönlichen Einsatz. Ziellose Hoffnung auf eine bessere Welt muss jedoch durch konkretes, eigenes Handeln ersetzt werden, mit allen damit verbundenen Risiken. Der Preis, diesen Weg zu gehen, ist nicht unerheblich, aber vielleicht – vielleicht – wird er Früchte tragen. Als letzte Option (nach meiner eigenen Einschätzung) bietet sich irgendeine Form von Zynismus, Fatalismus oder Nihilismus an.Natürlich ist es unfair, den Existentialismus eines Camus oder Sartre auf eine Stufe mit Nihilismus zu stellen, trotzdem empfinde ich nicht viel Tröstendes in der Erkenntnis, wir als Menschen seien zur Freiheit verdammt. Etwas Fatalistisches schwingt dabei zumindest mit. Der Dualismus dieser Freiheit besteht entweder aus Handeln oder Ohnmacht. Dem Fatalismus des Existentialismus entrinnt man nur durch Handeln, was entsprechende Konsequenzen, positive oder auch negative, notwendigerweise impliziert. …was am Ende des Tages bleibt, ist die Wahl des gewünschten Gifts. Blaue Kapsel oder rote Kapsel. Gedanken PolitikPsychosachen
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