Die Mühen der Ebene Pascal, 2. Januar 20242. Januar 2024 In letzter Zeit quäle ich mich durch die Lektüre. Bedenkend, dass ich noch vor einigen Jahren in der Regel 4 bis 5 Bücher pro Monat gelesen habe, befällt mich beinahe Schockstarre, wenn ich sehe, wie wenig es mir noch gelingt, ‚gut‘ zu lesen. Gut lesen, im Sinne von Eintauchen, absorbiert werden, zum Protagonist des Werkes aufsteigen; oder auch mal ein Molekül oder ein Gammaquant werden. Was noch geblieben ist, jedenfalls bei Sachbüchern naturwissenschaftlicher Art, wieder etwas zur Ruhe zu kommen. Formeln und Gleichungen haben für mich etwas Beruhigendes. In ihnen widerspiegeln sich Strukturen, Gesetzmässigkeiten, die mir um ein Vielfaches plausibler erscheinen als alle geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzmässigkeiten der realen Menschenwelt. Axiome wie sie die Physik oder die Mathematik aufweisen, fehlen in dieser Welt der Menschen, zu welcher ich zwar – irgendwie – gehöre, mich aber dennoch nie erfüllend zugehörig gefühlt habe. Entfremdung ist zwar für viele Menschen eine tagtägliche Realität, die wenigsten werden aber ihre Bedeutung wirklich erfassen. Auch weil sie darin geübt sind, sich in Ersatzhandlungen zu ergehen und damit das Unfassbare nicht fassbar, aber handhabbar zu machen. Das Gefühl, fremd zu sein, ist mir so vertraut wie wenig andere Gefühlsregungen. Das Spannungsfeld ich und die anderen war immer nie weniger als genau ein solches: Ein Feld unermesslicher Spannungen, überall und ständig. Wäre ich anders geprägt, nicht im Sinne eines Humanismus, der für sich genommen in diesen Tagen kaum mehr als einen Anachronismus darstellt, dann wäre vermutlich vieles anders gekommen. Gewiss nicht besser, eher schlechter. Der Weg, der einem beim Fall ins Bodenlose oft vorgezeichnet ist, kann man in Statistiken erfassen, etwa der Kriminalstatistik, der Suizidstatistik oder der Statistik der Drogentoten. Wie durch ein Wunder habe ich, zumindest bis hierher, selbst keine dieser Statistiken numerisch um 1 erhöht. Vermutlich ist es kein Wunder, sondern dieser, sagen wir mal, zornige Hund in mir, der, einmal richtig festgebissen, nicht mehr loslässt. Ein Persönlichkeitszug, genetische Prädisposition oder Ergebnis von Sozialisation, das lässt sich kaum beantworten, wäre auch irrelevant. Keine Dankbarkeit, wofür auch; aber Demut. Vor dem Leben, vor dem Sein, vor allem, was ist – um prosaisch den mir unangenehm religiös konnotierten Begriff Schöpfung zu vermeiden. Aber ich schweife wieder einmal ab. Beim besten Willen wollte der Kopf auch dieser Tage die Brecht-Lektüre nicht recht aufnehmen. Selbst die Hälfte der maximal zulässigen Tagesdosis Methylphenidat vulgo Ritalin reicht derzeit oft nicht aus, genügend den Fokus auf ein bestimmtes Ziel richten zu können. Die Gedanken schwirren wie immer seit Monaten in die vorhersehbare Richtung, auch wenn nichts unsinniger sein könnte als das. Mit etwas Verständnis mir selbst gegenüber, kann ich das ständige Abdriften als Kreativprozess auffassen, wofür Brecht immerhin schon mal eine gute Basis ist. In schweren Zeiten, ohne das nun zu präzisieren, denkt man verständlicherweise, alles wird anders, leichter, einfacher, besser sein, wenn dereinst alles ausgestanden sein wird. Das könnte ich nun als reichlich kleingeistig abqualifizieren, da leidige Erfahrung anderes gelehrt hat. Im Einzelfall mag es so sein, die Regel ist es nicht. Dass ich mir mittlerweilen angesichts der KESB Story verbiete, so etwas wie Zukunft auch nur wage zu antizipieren, lässt natürlich auch keinen Gedanken aufkommen, dass, selbst für den eigentlich erwartbaren Fall eines positiven Endes dieses Spukes, gewiss alles anders, aber nichts, rein gar nichts einfacher, besser oder leichter sein wird. Dieser naiven Illusion kann ich mich nicht hingeben, und erstaunlicherweise begehre ich nicht einmal den Gedanken daran, weil darin kein Trost zu finden wäre; und Trost in welcher Form auch immer ist über die letzten Monate ein Überlebenselixir geworden. Wohl angesichts der neuen Jahreszahl auf dem Kalender hat sich dennoch ein diffuser Impuls in einer, aufgrund der Sachzwänge eigentlich vom übrigen Funktionsverbund abgeschnürten Synapse geregt, der konkrete Forderungen stellen will. Die letzten 4 Jahre waren davon geprägt, auf sich ständig überwerfende äussere Verhältnisse möglichst pragmatisch und ohne überschiessende Emotionen zu reagieren. Reagieren ist, wenn überhaupt nur sekundär mit egoistischen Motiven besetzbar. In meinem Fall bestanden und bestehen bis heute die minimal möglichen Egoismen meist nur aus völlig unzulänglichem Selbstschutz und der Frage, woher die Kraft stammen soll, die jeweilige Problematik, die sich meist unvorhersehbar wie aus dem Nichts aufgeworfen hat, adäquat zu lösen. Noch beschäftigte ich mich mit Einhegung, aber bedrohlich wie eine disseminierende Infektion bricht sich hier etwas Bahn, was zur Unzeit kommt – aber, vom menschlichen Standpunkt aus schlicht legitim ist: Was soll werden, wenn…? Dieses Wenn bezieht sich zweifelsohne auf ein Ende dieser KESB Posse. Zwar ist zeitlich gesehen dieses Ende absehbar am Horizont zu erkennen, aber davon unabhängig bleiben die inhaltlichen Unwägbarkeiten, die diese Entscheidung offenbaren wird. Was von diesen Juristen und Psychologen in diesem Fall mit Junior entschieden werden sollte, entschieden werden müsse, ist, gesunden Menschenverstand vorausgesetzt, völlig offenbar. Verbürgt ist diese eine, sich aufzwingende Entscheidung allerdings mitnichten, da irrationale Entscheidungen der KESB oft mehr die Regel als die Ausnahme sind. Immerhin durfte ich mit M. und ihrer Tochter genau eine solche hochgradig groteske KEBS Posse mitansehen. Einmal kurz gedanklich den gesamten Druck der letzten 11 Monate von mir nehmend, imaginiere ich mir also eine Zukunft. Meine Zukunft. Reflexartig meldet sich Brecht zu Wort. Konsterniert erschrecke ich vor dem Gedanken, dass dann gewiss die Mühen der Berge hinter mir liegen – die Mühen der Ebene allerdings liegen erst noch vor mir. Und diese Ebenen sind weit, offen und erschreckend gestaltlos. Den Horror vacui habe ich erst kürzlich in Bezug auf meine Mitmenschen erwähnt. Jetzt hat er mich selbst befallen. Die evozierten Gefühle aufgrund eines Blickes nach vorne in die noch zu gestaltende Zukunft mit 18 und desselben Blicks mit 45 sind die zweier gänzlich verschiedener Menschen. Während man mit 18 in der Regel die Gestaltlosigkeit der Zukunft als schier grenzenlose Gestaltungsfreiheit auffasst, fehlt einem mit 45 schlicht dieser gewiss naive, aber hoffnungsvolle Idealismus und die Verve, die einem einst noch erlaubt hat, auch Risiken einzugehen, ohne deren mögliche Konsequenzen bis ins kleinste Fragment zu analysieren und antizipieren. Der Ehrlichkeit halber muss ich eingestehen, dass ich einst diese Risiken sehr wohl eingegangen bin, deren mögliche Konsequenzen, insbesondere die Konsequenzen eines möglichen Scheiterns all der schönen Pläne für das eigene Leben nicht nur detailiert antizipiert, sondern sie geradezu heraufbeschwört habe. Unerwähnt geblieben ist dabei noch diese, in pathologische Dimensionen gesteigert Signifikanz von Erfolg, oder eben in den konkreten Fällen, von Scheitern, welches mit einer gefühlten Annihilation der eigenen Existenz einherging. So wird dieser heutige Blick auf die Mühen der Ebenen zu einer erschreckenden Reminiszenz, die nicht nur Fragen nach dem Wie weiter aufwirft, sondern einem zugleich gnadenlos vor Augen führt, wie es die Geister der Vergangenheit bis in die Gegenwart geschafft haben. Nicht, dass mich dies erstaunte, nichts anderes war realistischerweise zu erwarten; doch provoziert dies reflexartig bekannte Mechanismen, die darauf hinauslaufen, dass die möglichen Implikationen der Reactio die dafür notwendigerweise vorausgehende Actio beinahe schon ad absurdum führen. Dass man sich, wider allen Veränderungen, die man im Laufe des Lebens durchmacht, gerade mit den Verhaltensmustern, die wenig förderlich bis extrem hinderlich sind, immer treu bleibt, scheint diese vielzitierte Ironie des Lebens zu sein. Ganz persönlich Gedanken Zukunft KESBPsychosachenSinnkrise
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