Bunte Hassreden und die vielen Finger am Abzug – Teil I Pascal, 20. Mai 202420. Mai 2024 Dass auf Politiker geschossen wird, gehört gewiss nicht zum Alltagsgeschehen, auch nicht in den heutigen aufgepeitschten Zeiten, auch wenn man diesen Tag hat kommen sehen können. Man könnte sagen, dass Robert Fico, gegenwärtiger slowakischer Premierminister, der nun als erster zum Opfer in dieser aufgeheizten Atmosphäre der Post-Corona-Epoche und der wiederentdeckten europäischen Kriegsgeilheit und antirussischen Hybris geworden ist, nicht nur ein exemplarisches und folgerichtiges, sondern, so grotesk dies zunächst klingen mag – auch ein würdiges Opfer abgibt. Mein Bild der Slowakei war bisher nicht dasjenige einer Nation, die ausgesprochen trigger-happy gewesen wäre. Die gesellschaftliche Polarisierung und Spaltung unterschied sich über meinen Beobachtungszeitraum, der nun schon 17 Jahre andauert, hinaus nicht wesentlich von der in der Schweiz oder der Deutschlands. Im Gegenteil ist meinen Beobachtungen nach der Umgang mit dem Alltagsgeschehen, etwa hinsichtlich Politik und Wirtschaft innerhalb der slowakischen Bevölkerung erheblich aufrichtiger als in der Schweiz, wo man sich, wider alle Fakten, immer noch bemüht, um jeden Preis den schönen Schein zu wahren und so zu tun, als wäre das längst Offenkundige, die moralische Bewahrlosung in Politik und Verwaltung, die Atomisierung der Gesellschaft, das Regime der sukzessiven und vorsätzlichen Verarmung der Mehrheitsbevölkerung nur das Hirngespinst unzufriedener Nörgler, denen man jeweils empfiehlt, halt das Land zu verlassen, wenn es ihnen hier nicht passe. In der Slowakei macht kaum jemand einen Hehl aus diesen gesellschaftlichen Massenphänomenen. Man spricht offen darüber, dass sich eine korrupte, oligarichische Clique des Landes bemächtigt hat und skrupellos ihren Profit aus den Taschen der zunehmend verarmenden Bevölkerung zieht. Jeder weiss es, weil fast jeder dies am eigenen Leib spürt. Denn nach dem Ende der Blockkonfrontation war wirtschaftliche Prosperität für die breite Bevölkerung nur eine sehr kurze Episode, die auch damals längst nicht alle erreicht hatte. Mit der fortschreitenden Integration des Landes in die westlichen Strukturen von EU, NATO & co war zügig Ende Gelände in der Hinsicht, dass alle etwas von den Segnungen der Marktwirtschaft abbekommen hätten. Der Kuchen ist nicht unendlich gross, und im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz oder Deutschland heute, bedurfte es schon damals in der Slowakei gar keiner pseudowissenschaftlich fundierten Verzichtsnarrative wie dem des menschgemachten Klimawandels, damit sich die Oligarchie auf Kosten der Mehrheitsbevölkerung schamlos die Taschen füllen konnte. Wie ich bereits bei anderen Gelegenheiten erwähnte habe, kann man auch über Robert Fico alles Mögliche denken und sagen. Was welchen Wahrheitsgehalt hat, lässt sich wie in der gesamten slowakischen Politik nicht mit abschliessender Gewissheit bestimmen. Wäre man aufrichtig, müsste man in ausnahmslos jedem Land dieser Erde davon ausgehen, dass Politiker zwangsläufig nicht nur von aufrichtigen und ehrlichen Zeitgenossen umgeben sind, egal wie sehr sie selber den eigenen Anspruch an Redlichkeit und Lauterkeit auch hochhalten mögen. Im Gegensatz zu vielen seiner Antagonisten ist Fico aber eines nicht: ein Wendehals, der sein Fähnchen in den Wind hängt. Genau darin liegt ein wesentlicher Teil der Feindseligkeit ihm gegenüber, die schon über viele Jahre hinweg stetig weiter angewachsen ist. Dass er in seinen vorhergehenden zwei Legislaturperioden als Premier Leute wie Mečiar weiter mit an der Macht hielt, kann man berechtigterweise als stossend empfinden. Allerdings muss man heute angesichts der Verwerfungen, die sich ob der aus Oligarchengeldern gespiesenen US-Thinktanks stammenden westlichen Verarmungsagenda immer weiter auftun, nicht mehr fragen, warum die Regierungsbündnisse zwischen Ficos SMER-SD und den Nationalisten um Vladimir Mečiars HZDS und Ján Slotas bzw. heute Andrej Dankos SNS derart angefeindet wurden und immer noch werden. Denn diese haben sich schon damals nach Kräften gegen den seitens der USA und der EU eingeforderten Kadavergehorsam aufgelehnt und wenigstens versucht, die gröbsten, durch den dominanten Neoliberalismus auf dem Fusse folgenden sozialen Ungerechtigkeiten halbwegs aufzufangen. Ficos Wortwahl angesichts der Migrationskrise im August 2015 war in keiner Weise schön oder angemessen. Allerdings muss man sich vergegenwärtigen, dass selbst beim besten Willen ein Land wie die Slowakei mit einer grösseren Zahl an Flüchtlingen, egal aus welchem Land die auch stammen mögen, wirtschaftlich schlicht völlig überfordert gewesen wäre. Im behaglichen wohlstandsgesättigten Wohnzimmer des Wertewestens kann man sich dann noch darüber echauffieren, dass auch die slowakische Bevölkerung in keiner Weise angetan gewesen wäre, eine erkleckliche Anzahl Migranten aus dem Nahen Osten bei sich zu beherbergen. Dass sich diese Ablehnung erkennbar auch, aber nicht nur, aus stereotypen bis hin zu rassistischen Motiven gespeist hatte, darf und soll man kritisieren, aber nicht, ohne auch die slowakische Kultur und die Geschichte des Landes mit zu berücksichtigen. Denn Migration wie es sie im Westen, in Deutschland oder der Schweiz nach 1945 schon gegeben hatte, war im Warschauer Pakt in der Form unbekannt. Wie in der DDR auch gab es in der Tschechoslowakei Bildungsprogramme für befreundete sozialistische Staaten, etwa Mosambik oder Kuba, die es Bürgern dieser Länder ermöglichte, im europäischen Sozialismus sowjetischer Prägung Bildungsangebote wahrzunehmen. Diese Programme waren zeitlich begrenzt, Arbeitsmigration wie sie in der BRD mit Menschen aus der Türkei und in der Schweiz aus Italien, Spanien und Portugal gespeist worden war, blieb in den Staaten des Warschauer Paktes unbekannt. Es gab somit in der Slowakei nie eine Basis für eine Entwicklung hin zu einem, was man gewöhnlich mit dem angelsächsischen Begriff Meltingpot bezeichnet. Kultur und Gesellschaft blieben bis nach der Wende 1989/90 weitestgehend hermetisch abgeschlossen. Eine äquivalente Anzahl Migranten aus Syrien und Irak wie sie Deutschland 2015 aufgenommen hatte, hätte die Slowakei sowohl wirtschaftlich wie auch gesellschaftlich-kulturell schlicht in kürzester Zeit zerrissen. Da mag man sich noch so sehr an Ficos rassistisch gefärbten Argumenten jener Tage aufreiben; aber die Weigerung zur Aufnahme einer grösseren Anzahl Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens war zwangsläufig unvermeidlich. Gegenüber Fico könnte man auch nicht den Vorwurf gelten machen, er hätte sich selbst zuvor an den westlichen Kriegen im Nahen Osten beteiligt und wäre somit mitschuldig an der Flüchtlingskrise von 2015. Denn die Unterstützung im ‚War against terror‘ nach 9/11 seitens der Slowakei erfolgte von Ficos Vorgänger im Amt des Premier, von Mikuláš Dzurinda. Dzurinda war es auch, der das Land erst auf den neoliberalen Kurz getrimmt hatte. Die Slowakei war zu jener Zeit eines der ersten Länder, welches eine Flatrat Tax eingeführt hatte, also eine Pauschalbesteuerung. Diese ist zwar im Detail nicht ‚flat‘, da es einen Grundfreibetrag gibt, der bei den bis heute recht niedrigen slowakischen Löhnen dazu führt, dass viele gewöhnliche Werkstätige wenig bis gar keine Einkommenssteuer abführen müssen. Dennoch war und ist die Flatrate Tax eine Schöpfung, welche ursprünglich westlichen Oligarchen-Thinkstanks entsprungen ist. Natürlich führte die Neoliberalisierung der slowakischen Wirtschaft dazu, dass die Wirtschaft selbst wuchs und zumindest der Staat seinen Schnitt davon einbehalten konnte. Die breite Bevölkerung profitierte und profitiert bis heute nur wenig von dieser Öffnung. Gerade der niedrigen Lohnnebenkosten wegen baute VW sein Werk ausserhalb von Bratislava, während die Amerikaner die Stahlindustrie im Osten um Košice aufkauften. Es ist somit beinahe überflüssig zu erwähnen, dass es auch nur für die international agierenden Konzerne von Vorteil war, als 2008 der Euro in der Slowakei eingeführt worden war, was zu einer ersten markanten Kostenexplosion führte. Als der Autor 2006 zum ersten Mal das Land bereiste, gab es einen Teller Bryndzové halušky, eine ganze Mahlzeit also, für etwa 100 Kronen, was rund 3 € oder 4.50 CHF entsprach. Unmittelbar nach der Euro-Einführung wurden dann bereits 5 € für denselben Teller à 250g Bryndzové halušky aufgerufen. Die selbstverschuldete Inflation im EU-Raum aufgrund der unsinnigen Russlandsanktionen nach dem 24. Februar 2022 führte dazu, dass der Autor bei seinem letzten Einkauf im Jahr 2023 in einem slowakischen Supermarkt in Šaľa für einen 125g-Würfel Bryndza den stolzen Preis von 2.49 € löhnen musste. Dazu möge man sich vergegenwärtigen, dass eine durchschnittliche Altersrente in der Slowakei etwa 200 € beträgt, wovon, mit Ausnahme der Krankenversicherung, alle anderen Ausgaben geschultert werden müssen. Der tägliche Wahnsinn Go woke, go broke Krieg & Frieden Neusprech GeschichtePolitik
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